Der YouTube-Blues
Wenig Resonanz auf Corona-Videos von Bluesmusiker/innen
Lockdown, Existenzangst, Versorgungsengpässe – in der Krise entdecken Menschen rund um den Erdball den Blues als Ausdrucksmittel für sich. Doch auch wenn die Videos oft kreativ, aufklärerisch oder gar amüsant sind, offenbart diese Entwicklung auch Schattenseiten. Die Corona-Clips von Bluesmusiker/innen fristen nämlich ein Schattendasein.
Im digitalen Zeitalter ist es nur folgerichtig, dass viele Künstler/innen ihre Aktivitäten während des Lockdowns ins Internet verlegten, um über Spenden zumindest einen Teil der wegbrechenden Gagen zu kompensieren. Einige schickten Links auf ihre Projekte an die bluesnews-Redaktion. Wie zum Beispiel der Schlagzeuger Michael Maass, der zusammen mit Musikern aus aller Welt das Video „Where Is The Music“ eingespielt hat, welches auf YouTube bis Ende August 2.230 Aufrufe verzeichnete (Link siehe Kasten).
bluesnews berichtete online darüber und richtete zudem die gesonderte Rubrik „Corona Stage“ ein, damit Bluesmusiker/innen ihre virtuellen Konzerte ankündigen konnten. Doch obgleich im Frühjahr von den Menschen Normalität und von Musikfans Konzerte herbeigesehnt wurden, nutzten nur wenige Künstler/innen diesen Service. Der wurde daher nach nur wenigen Wochen eingestellt. Die geringen Klickzahlen vieler Videos lassen zudem vermuten, dass die Online-Aktivitäten der musizierenden Blueszunft von den Fans kaum wahrgenommen werden.
Carlos Santana mit rund 100.000 Klicks
Bei Gitarrenlegende Carlos Santana und dessen Ehefrau Cindy Blackman Santana sieht das ganz anders aus. Gemeinsam mit weiteren namhaften Künstlern (darunter der britische Gitarrist John McLaughlin) veröffentlichte das Ehepaar im Juni den „The Quarantine Blues“ auf YouTube, um Geld für notleidende Künstler zu sammeln. Von den rund 100.000 Klicks, die das Video bislang erzielte, können weniger bekannte Bluesmusiker/innen nur träumen. Doch der Umstand, dass zwei kurz zuvor erschienene Dokumentationen über Santana mit Clickbaiting und sensationslüsternem Inhalt deutlich mehr Zuschauer anlocken konnten, lässt befürchten, dass die Versuche, dem drohenden Zusammenbruch des Kultursektors durch Videoaktionen entgegenzuwirken, wenig erfolgreiche Randerscheinungen sind.
Immerhin knapp 6.000 Mal wurde das sehenswerte Video des 2002 in Rumänien geborenen Gitarristen Andrei Cerbu aufgerufen, der für seine „Covid-19 Blues Jam“ neben dem indonesischen Nachwuchstalent Kalonica Nicx (Schlagzeug) auch den niederländischen Keyboarder Thomas Jakob und den britischen Gitarristen Lucian Romanescu gewinnen konnte. Der Sänger und Country-Blues-Gitarrist Carl Bludts verzeichnete mit dem hörenswerten „Corona Bug Blues“ sogar fast 25.000 Aufrufe. Allerdings veröffentlicht der Belgier über seinen YouTube-Kanal „daddystovepipe“ nicht nur Videos, sondern auch Übungsmaterial für angehende Bluesgitarristen. Mit diesem Konzept konnte er über die Jahre mehr als 60.000 Abonnenten gewinnen.
Bluesvideos kaum gefragt
Für Profimusiker sind Corona-Bluesvideos in diesen Zeiten nicht nur ein Mittel, um Einnahmen zu generieren, sondern mitunter auch einfach nur das, was diese Musik im Ursprung einmal war: eine Möglichkeit, die Widrigkeiten des Lebens musikalisch zu verarbeiten. So wie bei Eric Trauner. Aus künstlerischer Sicht hätte der „Covid 19 Blues“ des österreichischen Sängers und Gitarristen der Mojo Blues Band mehr Aufmerksamkeit als die nur gut 200 Klicks verdient. In dem ernst gehaltenen achttaktigen Blues im Stile von Musikern wie Blind Boy Fuller oder Brownie McGhee warnt Trauner vor dem unsichtbaren Feind Covid 19, der junge wie alte und arme wie reiche Menschen trifft.
Auch Trauners Landsmann Hermann Posch, der vielen Bluesfans unter anderem für seine Zusammenarbeit mit dem Amerikaner Zach Prather bekannt sein dürfte, thematisiert mit Jimi Dolezal (Gitarre), Connie Schlegl (Bass) und Martin Hladik (Schlagzeug) die tödlichen Folgen des Virus. Das Quartett erreichte mit dem „Corona Blues“ bislang etwas mehr als 1.240 Zuschauer. Der deutsche Pianist Henning Pertiet hingegen hämmerte den instrumentalen „Corona Boogie“, bei dessen Aufnahme er demonstrativ eine Schutzmaske trug, bislang nahezu unbemerkt in die Tasten (252 Klicks).
Düstere Töne schlägt der französische Sänger und Gitarrist Ben Piacentino an, der sich The Blue Suit Guy nennt. In seinem „Covid Blues“ (knapp 200 Aufrufe) singt er auf bewegende Art und Weise in französischer Sprache von der Belastung des medizinischen Personals und deren Angst, sich selbst zu infizieren. Auch die 1942 geborene Bev Grant, die in den 1960er-Jahren als Aktivistin an Friedensdemonstrationen, feministischen Protesten und Aktionen der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung beteiligt war, findet nur wenig Zuhörer (rund 650). Sie berichtet mit ihrem „The Stay At Home Corona Virus Covid 19 Blues“, wie sie sich trotz aller Entbehrungen bemüht, Kontakte zu beschränken.
Der amerikanische Sänger und Gitarrist Brian Kramer, dessen neues Album „The Provider“ in dieser Ausgabe vorgestellt wird (siehe die Kolumne „Funkes Bits & Bytes“), lebt in Schweden. Dort wählte man im Umgang mit der Pandemie einen Sonderweg, indem auf Kontaktbeschränkungen weitgehend verzichtet wurde. Kramer singt in dem Video, für das er bekannte Musiker wie Eric Bibb, Chris Lowe und Bert Deivert gewinnen konnte, von der selbst gewählten Isolation und der Angst vor Ansteckung. Damit erreichte er auf YouTube mit „Lockdown Quarantine 2020 -Brian Kramer & Friends“ in den ersten vier Monaten aber nur knapp 1.700 Zuschauer.
Hobbymusiker/innen mit teils schrägen „Besonderheiten“
Auf der Video-Plattform tummeln sich allerdings nicht nur bekanntere Künstler/innen aus allen Teilen der Welt, sondern auch Hobbymusiker/innen mit teils schrägen „Besonderheiten“. Dass die mitunter deutlich mehr Klicks erzielen als ihre professionellen Kollegen, dürfte Algorithmen und der modernen Aufmerksamkeitsökonomie geschuldet sein. Will heißen: Nicht der Blues generiert die hohen Zugriffszahlen, sondern die teils amüsanten Aufnahmesituationen. Das sollte Musikliebhaber/innen, die Interesse am Fortbestand der Bluesszene haben, zu denken geben.
So erzielte eine malaysische Familie, die unter dem Namen Gombak Hillbillies im April den „Covid 19 Blues“ veröffentlichte, bis Ende August deutlich mehr Klicks als der eingangs erwähnte Carlos Santana: 136.000! Der namentlich nicht genannte Gitarrist singt einen Blues über Einschränkungen und Versorgungsengpässe zu Corona-Zeiten, was Ehefrau und Tochter auf dem Sofa gestenreich beobachten. Auch die Hauskatze kommt zum Zuge. Ebenfalls ohne Namen präsentieren sich zwei Damen fortgeschrittenen Alters. Humorvoll, mit Lockenwicklern und in schrägen Outfits rufen sie in „I Got the Corona Virus Blues“ zur Senkung der Ansteckungsrate auf, was sich binnen der ersten fünf Monate fast 35.000 Menschen ansahen.
Besonderer Beliebtheit erfreut sich Johnny Cashs „Folsom Prison Blues“, der ein ums andere Mal zum „Corona Prison Blues“ umgeschrieben wurde. Zu den kreativsten Versionen gehört das Video des britischen YouTubers Louis Arrigoni, der sogar Teile einer Ansprache von Premierminister Boris Johnson in den Clip einbettete. Seit Mitte Juli konnte er damit aber nur knapp 700 User auf sich aufmerksam machen. Weitaus erfolgreicher ist „RTL Samstag Nacht“-Comedian und „Bernd das Brot“-Erfinder Tommy Krappweis, der für Besucher von Hygiene-Demos seinen „Dunning Kruger Blues“ als „Corona Edition“ neu auflegte. Damit erreichte der Adolf-Grimme-Preisträger binnen der ersten drei Monate über 28.000 Zuschauer.
Dass Menschen rund um den Erdball den Blues nutzen, um die Folgen der Pandemie zu verarbeiten, stimmt durchaus hoffnungsvoll. Dass jedoch insbesondere professionelle Bluesmusiker, die von dieser Musik leben müssen, in der Krise von der Öffentlichkeit nahezu unbeachtet bleiben (und entsprechend wenig Unterstützung erfahren), hingegen nicht.
- Dirk Funke in bluesnews 103
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